Dieser Stadtspaziergan durch den Alsergrund hat viel zu bieten: Servitenviertel, Palais Liechtenstein, Strudelhofstige, WUK, Praxis von Sigmund Freud, uvm
U6 Station Währinger Straße-Volksoper – Otto Wagners Kunstwerk
Der Spaziergang durch den Alsergrund beginnt an der U6-Station »Währinger Straße-Volksoper«, gestaltet von Otto Wagner. Diese Station habt ihr bereits bei unserem Stadtspaziergang durch Währing kennengelernt. Otto Wagner hat hier ein Gesamtkunstwerk geschaffen und sich bei jedem Detail Gedanken gemacht – von den Beleuchtungskörpern bis zu den Bodenfliesen.
Wiener Volksoper – Ein Meisterwerk der musikalischen Vielfalt
Nur wenige Schritte von der U6-Station entfernt, erhebt sich vor uns ein Juwel der Wiener Theaterlandschaft: die Wiener Volksoper. Der Gesangstempel, der 1898 in beeindruckenden zehn Monaten von Alexander Graf und Franz Freiherr von Krauß erbaut wurde, ist das zweitgrößte Opernhaus Wiens.
Ihr abwechslungsreiches Programm reicht von spritzigen Operetten über Musicals bis hin zu klassischem Ballett. 1907 feierte Puccinis Tosca ihre Wiener Premiere, gefolgt von Richard Strauss’ Salome nur drei Jahre später. Auf dieser Bühne standen einst Legenden wie Maria Jeritza, Leo Slezak und Richard Tauber, die mit ihrem Können das Publikum begeisterten.
Das WUK am Alsergrund – Kulturzentrum mit Geschichte
Nur 150 Meter weiter stadteinwärts fällt rechter Hand ein beeindruckender Ziegelbau ins Auge: das WUK. Dieses denkmalgeschützte Ensemble hat eine bewegte Geschichte, die bis ins Jahr 1855 zurückreicht. Ursprünglich von Industriepionier Georg Sigl als Lokomotivfabrik Alsergrund errichtet, lief hier die erste Dampflokomotive mit dem klangvollen Namen »Gutenberg« vom Band.
Nach dem Börsenkrach von 1873 wurde die Fabrik auf allgemeinen Maschinenbau umgestellt. Diese fertigte beispielsweise die Bühnenmaschinerie für die Wiener Staatsoper und Eisenkonstruktionen für die Votivkirche an.
Von 1884 bis in die späten 1970er-Jahre diente der Gebäudekomplex als Standort des Technologischen Gewerbemuseums (TGM), einer renommierten technischen Fachschule. Seit 1981 beherbergen die denkmalgeschützten Hallen eines der größten selbstverwalteten Kulturzentren Europas. Mit Ateliers, Konzerten, Theateraufführungen und Werkstätten ist das WUK heute ein pulsierender Treffpunkt für Kunst und Kultur.
Die Strudelhofstiege – Ein literarischer und architektonischer Schatz
Wir setzen unseren Weg entlang der Währinger Straße fort, überqueren die geschäftige Nußdorfer Straße und biegen in die Strudlhofgasse ein. Dort erwartet uns das Württembergpalais (Strudlhofgasse 10), einst Residenz des k. k. Außenministers Leopold Graf Berchtold. Das Palais am Alsergrund birgt ein Kapitel von weltgeschichtlicher Tragweite: In seinen Räumen wurde 1914 jenes verhängnisvolle Ultimatum an Serbien unterzeichnet, das nach der Ermordung von Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte.
Nur wenige Schritte weiter erreichen wir die berühmte Strudelhofstiege. Mit ihrer eleganten Jugendstil-Architektur, den geschwungenen Treppen und der idyllischen Brunnenanlage lädt sie kurz zum Verweilen ein. Die Stiege wurde durch Heimito von Doderers Roman »Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre« literarisch verewigt, in deren Umkreis einige zentrale Ereignisse des Romans spielen.
Auftraggeber zur Errichtung dieser literaturgeschichtlich bemerkenswerte Stiegenanlage am Alsergrund war Bürgermeister Karl Lueger. Lueger, dessen Amtszeit von der Entwicklung Wiens zur modernen Großstadt geprägt war, ist eine kontroverse Figur der Geschichte. Während seine stadtplanerischen Errungenschaften unbestreitbar sind, geriet Lueger ins Kreuzfeuer von selbsternannten Wokies, die eine Streichung seines Namens aus der historischen Erinnerung fordern.
Gartenpalais Liechtenstein – Ein barockes Meisterwerk
Wir schreiten die Strudlhofstiege hinunter, lesen das auf einer Tafel neben dem größeren Brunnen angebrachte Gedicht von Doderer und überqueren anschließend die Liechtenstein Straße. Gleich darauf biegen wir in die Fürstengasse ein, die uns zum Haupteingang vom Palais Liechtenstein führt.
Der Haupteingang öffnet den Blick auf ein Gebäude, das nicht nur durch seine imposante barocke Architektur beeindruckt, sondern auch einen Schatz birgt: Teile der privaten Kunstsammlung des Fürsten von und zu Liechtenstein. Die Kunstsammlung umfasst Meisterwerke von der Frührenaissance bis zum Biedermeier und kann im Rahmen einer öffentlichen Führung besichtigt werden.
Verborgenes Juwel am Alsergrund: Der älteste jüdische Friedhof Wiens
Unser Streifzug durch den Alsergrund führt uns weiter ins Servitenviertel. Wir folgen ein kurzes Stück der Porzellangasse und biegen anschließend in die Seegasse ab. Man mag es kaum glauben, aber hinter den Mauern des Pensionistenheims Roßau (Seegasse 9–11) verbirgt sich der älteste jüdische Friedhof Wiens. Hier wurden zwischen 1540 und 1783 die Mitglieder der jüdischen Gemeinde begraben. Der Friedhof ist zugänglich und befindet sich im Innenhof des Pensionistenheims, über das er auch erreicht werden kann.
Das Servitenviertel – Zwischen französischem Flair und dunkler Vergangenheit
Nach wenigen Schritten haben wir das Servitenviertel erreicht, ein Viertel, das laut findigen Marketingspezialisten einen Hauch von französischem Flair versprüht. Und tatsächlich: Dieses charmante Grätzel zählt zu den schönsten Ecken Wiens. Prunkvolle Altbauten, kleine Geschäfte und viele einladende Lokale prägen die Szenerie und verleihen dem Viertel seinen unverwechselbaren Charakter.
Im Herzen des Servitenviertels erhebt sich die imposante Servitenkirche. Dieser barocke Sakralbau aus dem 17. Jahrhundert, einst Ordenskirche der Serviten, gilt als eine der bedeutendsten Vorstadtkirchen Wiens im Frühbarock. Ihre Architektur diente später als Vorbild für zahlreiche Barockkirchen. Besonders beeindruckend ist die prächtige Kuppel mit ihren kunstvollen Fresken im Innere des Kirchenschiffs.
So romantisch sich heute die Servitengasse präsentiert, so tragisch ist deren Geschichte. Nach der Leopoldstadt war der Alsergrund um die Jahrhundertwende jener Bezirk mit dem höchsten Anteil jüdischer Mitbürger. Bis zum März 1938 war die Servitengasse Heimat von 680 Menschen. 377 von ihnen wurden nach dem Novemberpogrom als Juden von den Nazis aus ihren Wohnungen vertrieben, ermordet oder deportiert. Nur einige von ihnen konnten damals noch rechtzeitig das Land verlassen.
Eine Gedenkstele vor der Servitengasse 6 erinnert an die Namen von 27 jüdischen Bewohnern, die diesem Terror zum Opfer fielen. Schräg gegenüber der Servitenkirche befindet sich ein weiteres eindrucksvolles Mahnmal: die Installation Schlüssel gegen das Vergessen. Unter einer Glasplatte ruhen 426 Schlüssel, jeder mit einem Namensschild versehen. Sie stehen stellvertretend für die jüdischen Bewohner und Geschäftsleute, die einst in der Servitengasse lebten und arbeiteten.
Berggasse 19 – Zu Besuch beim Vogeldoktor am Alsergrund
Wir verlassen das Servitenviertel, überqueren die Porzellangasse und gelangen in die geschichtsträchtige Berggasse. Diese zur Währinger Straße steil ansteigende Straße im Herzen des Alsergrunds war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schauplatz eines außergewöhnlichen Kapitels Wiener Geschichte. Von 1891 bis 1938 lebte und arbeitete in der Berggasse 19 der Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud, ehe er 1938 vor den Nazis nach London fliehen musste. In den Räumlichkeiten, wo einst Freud wohnte und ordinierte befindet sich heute das Sigmund-Freud-Museum.
Hier entstanden Freuds bedeutendste Werke, darunter »Die Traumdeutung«, in der er den Zusammenhang zwischen Träumen und der individuellen Lebensgeschichte erstmals wissenschaftlich beleuchtete. Nur wenige Einrichtungsgegenstände, wie das Wartezimmer, sind zu sehen, da Freud den Großteil der früheren Einrichtung nach Bezahlung der Reichsfluchtsteuer in das Exil mitnehmen durfte.
Darunter auch die berühmte Couch, die sich heute im Freud-Museum in London, befindet. Gezeichnet von einer schweren Krebserkrankung setzte Freud seinem Leben ein Jahr nach der Flucht in London selbst ein Ende – mit 83 Jahren, unterstützt von einem befreundeten Arzt, durch eine Überdosis Morphium.
Während Freud an seiner Traumdeutung schrieb, tüftelte nur wenige Meter entfernt Ferdinand Porsche an einem Traumauto. Der damals noch junge Ingenieur war Konstrukteur bei den »Lohner-Werke« in der Porzellangasse 2. Die »Lohner-Werke« galten einst als das »Hightech-Unternehmen« der Donaumonarchie. Bereits 1899 präsentierte das Unternehmen mit dem Lohner-Porsche das erste Fahrzeug mit Allradantrieb und brachte 1902 sogar das weltweit erste Hybridfahrzeug auf den Markt. Sehr zum Ärger Freuds nutzte Porsche die steile Berggasse als Teststrecke. Das infernalische Getöse seiner holprig über das Kopfsteinpflaster rollenden Prototypen trieb den Psychoanalytiker regelmäßig zur Verzweiflung.
Votivkirche – Ein Ort der Geschichte
Auch wir erklimmen die Anhöhe, spazieren am Gymnasium in der Wasagasse vorbei und werfen einen Blick auf die Gedenktafeln für die berühmten Schüler dieser traditionsreichen Bildungsanstalt. Hier lernten unter anderem die Schriftsteller Friedrich Torberg und Stefan Zweig sowie der Forscher und Nobelpreisträger Karl Landsteiner, der die Blutgruppen entdeckte. Über die Türkenstraße erreichen wir schließlich die Währinger Straße und den Roosevelt-Platz, wo sich unser nächstes Ziel eindrucksvoll vor uns erhebt.
Mit ihren 99 Metern Höhe ist die Votivkirche die zweithöchste Kirche Wiens und ein Meisterwerk der Neugotik, welches nach den Plänen des Architekten Heinrich Ferstel, erbaut wurde. Ihre Errichtung verdankt sie einem glücklichen Zufall der Geschichte: dem Scheitern eines Attentats auf Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1853. Der Attentäter, der ungarische Schneidergeselle János Libényi, wurde nach seiner Festnahme wenige Tage später hingerichtet.
Auf der Simmeringer Had, / hat’s an Schneider verwaht. Es g’schiecht ihm scho’ recht, / warum sticht a so schlecht!
Die Wiener Volksseele über den Attentäter
Aus Dankbarkeit für die Rettung des Kaisers stiftete dessen Bruder Erzherzog Ferdinand Maximilian die Kirche, die heute zu den beeindruckendsten Bauwerken der Stadt zählt. Auf zwei Besonderheiten sei im sehenswerten Inneren des Gotteshauses hingewiesen.
Die ursprünglichen Glasfenster der Kirche wurden im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört. Da keine Originalzeichnungen mehr existierten, entschied man sich für eine völlige Neugestaltung. Im Zuge dessen entstand auch ein besonderes Fenster, das dem Widerstand und dem Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter gewidmet ist. Dieses erste Sakralkunstwerk, das das Martyrium des oberösterreichischen Widerstandskämpfers thematisiert, befindet sich in der Kreuzkapelle.
In der Rosenkranzkapelle liegt ein weiteres bedeutendes Denkmal: der Sarkophag von Graf Niklas von Salm. Dieses Grabmal stiftete Kaiser Ferdinand I. aus Dankbarkeit für Salms Verdienste als Befehlshaber des österreichischen Heeres, das 1529 Wien erfolgreich gegen die türkische Belagerung verteidigte. Ein Ort der Geschichte und des Gedenkens, der die Votivkirche zu einem kulturellen wie spirituellen Anziehungspunkt macht.
Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte – Ort der Erinnerung
Wir verlassen das sakrale Bauwerk durch einen Seiteneingang und folgen der Frankgasse bis zum Ostarrichipark. Dort befindet sich nicht nur der Sitz der Österreichischen Nationalbank, sondern auch die beeindruckende »Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte«. Auf etwa 160 oval angeordneten Steintafeln sind die Namen von rund 65.000 jüdischen Kindern, Frauen und Männern eingraviert, die während der Shoah aus Österreich deportiert und ermordet wurden. Dieses Denkmal, das mit seiner schlichten, aber eindringlichen Gestaltung das Grauen der Vergangenheit greifbar macht, geht tief unter die Haut und erinnert eindrucksvoll an das unermessliche Leid der Opfer.
Auf zum Alten AKH – Ein Stück Medizingeschichte
Unser Rundgang durch den Alsergrund endet am »Alten AKH« (Allgemeines Krankenhaus), einem bedeutenden Ort der Medizingeschichte. Ursprünglich im 17. Jahrhundert als Armenhaus gegründet, ließ Kaiser Joseph II. die Einrichtung ab 1784 in ein modernes Krankenhaus nach dem Vorbild des französischen »Hôtel-Dieu de Paris« umbauen.
Dieses widmete sich erstmals ausschließlich der Krankenversorgung. Angeschlossen an das AKH waren ein Gebärhaus für werdende Mütter, ein Findelhaus für unehelich geborene Kinder und das berühmte, aber düstere Tollhaus für psychisch Kranke. In den historischen Trakten des Alten AKH prägten medizinische Pioniere wie Theodor Billroth und Ignaz Semmelweis die Geschichte.
Billroth führte hier die erste erfolgreiche Magenoperation durch, während Semmelweis mit seinen revolutionären Erkenntnissen zur Hygiene das tödliche Kindbettfieber eindämmen konnte. Mitte des 20. Jahrhunderts stieß das Alte AKH an seine Kapazitätsgrenzen, und nach einigen Bauskandalen wurde 1991 das neue AKH eröffnet. Der historische Gebäudekomplex hingegen fand eine neue Bestimmung: Heute beherbergt er zahlreiche Institute der Universität Wien, Restaurants und sogar einen Supermarkt.
Ein Höhepunkt in diesem weitläufigen Areal ist der Narrenturm, das weltweit erste Spezialgebäude für psychisch Kranke. Aufgrund seiner runden Form wird er im Volksmund liebevoll »Gugelhupf« genannt. In den 139 fenstergeschützten Einzelzellen wurden die schwersten Fälle untergebracht, oft tobende oder “unreine” Patienten, die von der damaligen Medizin als gefährlich galten. 1869 wurde das Gebäude aufgrund neuer psychiatrischer Ansätze geschlossen. Heute beherbergt der Narrenturm die Pathologisch-anatomische Sammlung, eine faszinierende Ausstellung zur Geschichte der Medizin und menschlichen Anatomie.
Hier endet auch nun unsere Tour durch den Alsergrund und wir wünschen Euch viel Spass beim Nachwandern dieser Tour.
Strecke durch den Alsergrund:
U6 Station – Währinger Straße > Strudelhofgasse > Strudelhofstiege > Liechtenstein Straße > Fürstengasse > Porzellangasse > Seegasse > Müllnergasse > Grüntorgasse > Servitengasse > Berggasse > Wasagasse > Türkenstraße > Roosevelt Platz > Votivkirche > Frankgasse > Ostarrichipark > Altes AKH
Statistik: ca 7.500 Schritte, ca 4,5 km