WEINVIERTLER KELLERGASSEN RADRUNDE: 51 KM GENUSS IM RETZER LAND UND PULKAUTAL

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Kleine Kellertrift Haugsdorf

Die 51 Kilometer lange Weinviertler Kellergassen Radrunde durch das reizvolle Retzer Land und das bezaubernde Pulkautal ist wie das Leben – es geht ständig auf und ab.

Jetzelsdorf

Weinkirche von Jetztelsdorf
Start der Weinviertler Kellergassen Radrunde bei der Weinkirche in Jetzelsdorf

Die Weinviertler Kellergassen Radrunde startet in Jetzelsdorf, einem idyllischen Ort im Pulkautal, der mit einer besonderen Überraschung aufwartet. Es gibt zwei Kirchen – die ältere davon ist jetzt eine Weinkirche. Früher hat man hier für das Seelenheil gebetet, heute für den richtigen Jahrgang. Ist vielleicht eh g’ scheiter, denn ein guter Grüner Veltliner sorgt im Zweifel schneller für himmlische Zustände.

Haugsdorfer Kellergasse

Weingärten auf der Weinviertler Kellergassen Radrunde
Weinviertler Kellergassen Radrunde

Von Jetzelsdorf aus radeln wir weiter nach Haugsdorf, wo uns nicht nur die malerische, langgestreckte »Große Kellertrift« erwartet, sondern auch ein knackiger Anstieg entlang des Hutbergs. Die steile Kellergasse ist ohne E-Bike nicht nur ein Highlight für die Oberschenkel, sondern auch für Cineasten.

Große Kellertrift Haugsdorf
Große Kellertrift Haugsdorf

Sie diente als Drehort der Kult-Krimiserie rund um den Dorfgendarmen Simon Polt, gespielt von Erwin Steinhauer. Im Roman »Polt muss weinen« wird ein Weinkeller zum Schauplatz dunkler Geheimnisse: Ein alter Weinbauer soll einen verhassten Immobilienspekulanten ermordet haben.

Große Kellertrift Haugsdorf
Große Kellertrift Haugsdorf

Schlösser, Klöster und Paläste gibt es wie Sand am Meer. Aber Kellergassen? Die gibt es nur im Weinviertel. Häuser ohne Rauchfang, ohne Fenster, ohne WLAN. Vielleicht die Urform der Tiny Houses – ganz ohne Komfort, aber mit Charme und Charakter. Und wer braucht schon TikTok oder Netflix, wenn ausreichend Wein vorhanden ist.

Große Kellertrift Haugsdorf
Große Kellertrift Haugsdorf

Früher hat man in den Presshäusern Trauben gepresst und den Most in den kühlen Kellern gelagert. Für die moderne Weinproduktion sind sie jedoch nicht mehr geeignet, doch als Kulturgut bleiben sie erhalten. Manche wurden liebevoll saniert, andere verfallen langsam – still, würdevoll und mit einem Hauch von Melancholie.

Südmähren Warte am Schatzberg

Südmähren Warte
Südmähren Warte

Der nächste Abschnitt der Weinviertler Kellergassen Radrunde führt uns zur Südmähren Warte am Schatzberg. Rundherum Weinberge, Felder, und irgendwo dazwischen wir, schwitzend auf dem Rad. Von der Warte schauen wir weit ins Mährische hinein und denken uns: Früher war das alles Österreich. Auch schon lange her, so wie der Eiserne Vorhang, der hier einmal Europa geteilt hat.

Weinviertler Kellergassen Radrunde – Hügel rauf, Hügel runter

Weinviertler Kellergassen Radrunde
Weinviertler Impressionen entlang der Weinviertler Kellergassen Radrunde

Von der Südmährer Warte geht es weiter nach Unterretzbach und Mitterretzbach – ein Abschnitt der Weinviertler Kellergassen Radrunde mit lauter kleinen Gemeinheiten für Radfahrer. Ständig geht es rauf und runter. Kurze Anstiege, bei denen man sich fragt, warum man immer noch kein E-Bike besitzt, gefolgt von Abfahrten, auf denen das Treten plötzlich ganz leicht fällt – zumindest bis zum nächsten Hügel. Intervalltraining, sagen Sportler dazu. Und das alles in einer Landschaft, die so schön ist, dass man fast vergisst, wie sehr die Oberschenkel brennen.

Hinauf zum Heiligen Stein

Heiliger Stein
Der Heilige Stein

In Mitterretzbach wird es wieder anstrengend. Der zweite ernsthafte Anstieg des Tages bringt uns hinauf zum »Heiligen Stein«, einem geheimnisvollen Kultplatz auf einer Anhöhe des Manhartsbergs. Der riesige Granitblock mit elf Schalen zählt angeblich zu den schönsten Schalensteinen Österreichs und wurde bereits in prähistorischer Zeit für rituelle Zwecke genutzt. Später wurde aus dem Ort eine christliche Wallfahrtsstätte, da eine nahegelegene Quelle angeblich heilendes Wasser führte.

Beim Heiligen Stein
Ruine der Wallfahrtskirche

Alles begann 1647, als ein Mann, der nur noch auf Krücken gehen konnte, sich mit dem Wasser wusch und plötzlich munter davonspazierte. Und wie das eben so ist: Sobald sich ein Wunder herumspricht, strömen die Menschen in Scharen herbei. 1750 errichtete man für die Pilger sogar eine eigene Wallfahrtskirche. Das Quellwasser wurde direkt in die Kirche geleitet, damit die Gläubigen es bequem entnehmen konnten – natürlich nicht ohne einen angemessenen Obolus zu leisten, denn umsonst ist nur der Tod, und der kostet bekanntlich das Leben.

Beim Heiligen Stein
Aussichtssteg beim Heiligen Stein

Doch dann bestieg Kaiser Joseph II. den Thron – ein Mann, der für seine radikalen Reformen bekannt war und alles, was nicht in sein Konzept passte, ohne großes Zögern beseitigte. 1784 wurde die Kirche auf sein Geheiß hin ohne viel Aufhebens geschlossen und abgerissen. Mit den sakralen Gegenständen verschwanden auch ganze Wagenladungen von Krücken und Gehhilfen. Lauter stumme Zeugen von Wundern, die vielleicht passiert sind oder eben auch nicht. Heute sind die Fundamente der Kirche freigelegt und ein Aussichtssteg bietet einen weiten Blick ins Weinviertel und nach Südmähren.

Mittagspause in Retz

Blick auf Retz
Blick auf Retz – Hälfte der Hälfte der Weinviertler Kellergassen Radrunde ist geschafft

Nachdem wir den Blick ins »Weite Land« genossen haben, geht es hurtig bergab nach Retz. Durch das Znaimertor gelangen wir direkt in die historische Innenstadt und erreichen kurz darauf den Hauptplatz von Retz, der als einer der schönsten Plätze Österreichs gilt – so wie gefühlt jeder zweite Hauptplatz zwischen Bodensee und Neusiedler See.

Rathaus von Retz
Rathaus von Retz

Im Zentrum des Platzes thront das imposante Rathaus mit seinem 57 Meter hohen Turm. Ursprünglich als katholische Kirche geplant, wurde das Bauwerk von den dem Protestantismus zugeneigten Ratsherren kurzerhand in ein Rathaus umfunktioniert. Wer zur Aussichtsplattform des Rathausturms hinaufsteigt, wird mit einem herrlichen Rundumblick über die Stadt und das hügelige Weinviertel belohnt.

Blick vom Rathausturm von Retz
Blick vom Rathausturm auf Retz

Nachdem ihr nun die Hälfte der Weinviertler Kellergassen Radrunde hinter euch habt, ist Retz der ideale Ort für eine Pause. Setzt euch in einen Schanigarten, bestellt ein Mittagessen, bestaunt die prächtigen Bürgerhäuser am Hauptplatz oder lehnt euch zurück und beobachtet, wie andere Radler verschwitzt ankommen und euch denken: »Na, die schaun a nimma guat aus.«

Retz,  Sgraffitohaus
Sgraffitohaus am Retzer Hauptplatz

Eines der schönsten Bürgerhäuser von Retz ist das Sgraffitohaus, ein echtes Renaissance-Schmuckstück, dessen kunstvolle Fassade geradezu überquillt vor griechischen Göttern, biblischen Gestalten und Darstellungen des menschlichen Lebensalters vom zehnten bis zum hundertsten Jahr. Zur Zeit der Errichtung des Hauses war das wahrer Optimismus – immerhin lag die durchschnittliche Lebenserwartung damals bei etwa 50 Jahren.

Verderberhaus
Verderberhaus

Gleich gegenüber steht das Verderberhaus, ein Bürgerhaus im venezianischen Stil mit Zinnen und Schwibbogen. Es verdankt seinen Namen der Kaufmannsfamilie Verderber, die im 19. Jahrhundert Retzer Wein bis nach St. Petersburg exportierte und auf dem Rückweg feines Leinen aus Schlesien mitbrachte.

Die Leiden Christi und die Öhlbergkellergasse von Pillersdorf

Am Hochsteiner Berg
Am Hochsteiner Berg

Von Retz aus beginnt die Strecke zunächst gemütlich, doch dann steht er plötzlich vor uns: der Hochsteinerberg. Der letzte echte Anstieg der Weinviertler Kellergassen Radrunde, und der hat es in sich. Die Oberschenkel brennen wieder, der Puls macht Freudensprünge und die Lunge schnappt nach Luft, als würde einer Influencerin während eines Schönheitstipps-Livestreams plötzlich die aufgespritzten Schlauchbootlippen mit einem dramatischen Knall um die Ohren fliegen.

Öhlbergkellergasse von Pillersdorf
Öhlbergkellergasse von Pillersdorf

Doch die Mühe lohnt sich: Am Ziel erwartet euch die idyllische Öhlbergkellergasse von Pillersdorf. Mit ihren rund vierzig Presshäusern und Kellern zählt sie zu den schönsten und ursprünglichsten Kellergassen Niederösterreichs.

Öhlbergkellergasse von Pillersdorf
Öhlbergkellergasse von Pillersdorf

Sie ist ein echtes Idyll, wie aus einem Heimatfilm: uralte, weiß getünchte Keller, eingebettet in einem natürlichen Hohlweg und umgeben von Weinbergen.

Am Kalvarienberg von Pillersdorf
Kalvarienberg von Pillersdorf

Nur einen Katzensprung von der Öhlbergkellergasse entfernt liegt der Kalvarienberg von Pillersdorf. Auf dem markanten Hügel steht, ganz prominent, eine barocke Kreuzigungsgruppe aus dem Jahr 1730, die so auffällig ist, dass selbst der unaufmerksamste Radler nicht daran vorbeifahren kann. Der Hügel selbst blickt auf eine noch ältere Geschichte zurück. Archäologische Funde belegen, dass er bereits in der Hallstattzeit als Grabhügel eines Fürsten diente und später als Kultplatz genutzt wurde.

Am Kalvarienberg von Pillersdorf
Frühling am Kalvarienberg von Pillersdorf

Von der Weinviertler Kellergassen Radrunde ist es nur ein fünfminütiger Spaziergang zur Kreuzigungsgruppe. Von hier aus könnt ihr den Blick über das Retzer Land, die zahlreichen Weingärten und auf unser nächstes Ziel, die Weinstadt Schrattenthal, schweifen lassen.

Schrattenthal, zweitkleinste Stadt Österreichs

Am Weinviertler Kellergassen Radrunde
Impressionen von der Weinviertler Kellergassen Radrunde

Vom Kalvarienberg sind es nur ein paar kräftige Pedaltritte nach Schrattenthal, der zweitkleinsten Stadtgemeinde Österreichs – wobei, »Stadt« ist hier eher eine Frage des Selbstbewusstseins als der Einwohnerzahl. Hier gibt es tatsächlich mehr Legenden als Menschen, und das ist keine Übertreibung: Rund 890 sollen es aktuell sein, wobei man sich nicht sicher ist, ob da nicht schon ein paar Schratteln mitgezählt wurden.

Schrattenthal
Blick auf Schrattenthal im Sommer

Von den sagenumwobenen Schratteln leitet sich der Name Schrattenthal ab. Dabei handelt es sich um kleine Kobolden, die den Bewohnern des Retzer Landes regelmäßig Streiche spielen. Einer Legende nach hat ein Bauer aus Schrattenthal einmal einen Schratt aus einem Dornengestrüpp befreit. Zum Dank schenkte ihm der Kobold einen unscheinbaren Erdbrocken, der sich später als Goldklumpen entpuppte. Man sieht: In Schrattenthal lohnt sich Hilfsbereitschaft!

Schrattenthal
Das Stadttor von Schrattenthal

Schrattenthal gilt auch als Mekka des Buchdrucks. 1501 wurde hier die erste Buchdruckerei Niederösterreichs gegründet, die sogenannte Klosterdruckerei, wo unter einer großzügigen Wolke Weihrauch das älteste gedruckte Buch Niederösterreichs – ein Marienandachtsbuch – entstand.

Weiter nach Zellerndorf

Am Weinviertler Kellergassen Radrunde
Impressionen von der Weinviertler Kellergassen Radrunde

Wir verlassen Schrattenthal durch das historische Stadttor und folgen der Weinviertler Kellergassen Radrunde zunächst nach Dietmannsdorf, bevor wir weiter nach Deinzendorf radeln – einem Ort, der eng mit der Kindheit von Friederike Mayröcker verbunden ist. Die Schriftstellerin verbrachte hier zahlreiche Sommermonate, die ihre späteren Werke nachhaltig prägten. Eine Gedenktafel am Feuerwehrhaus erinnert an die 2021 verstorbene Dichterin. Schließlich erreichen wir Zellerndorf, wo die beeindruckende Kellergasse Maulavern auf uns wartet.

Kellergasse Maulavern in zellerndorf
Kellergasse Maulavern in Zellerndorf

Die Kellergasse Maulavern ist rund 750 Meter lang und liegt eingebettet zwischen malerischen Weingärten am südwestlichen Ortsrand von Zellerndorf. Mit ihren knapp 90 historischen Kellern und einer über 200-jährigen Geschichte zählt sie zu den ältesten Kellergassen im Weinviertel. Bekanntheit erlangte die Kellergasse durch das jährlich stattfindende Kürbisfest sowie die Fernsehserie »Julia – Eine ungewöhnliche Frau«, in der Hauptdarstellerin Christiane Hörbiger ein paar Szenen drehte und ganz professionell das eine oder andere Gläschen Wein verkostet hat.

Rankl-Kreuz in Zellerndorf
Rankl-Kreuz in Zellerndorf

Am oberen Ende der Kellergasse steht das Rankl-Kreuz, ein Ort, wo früher Gericht gehalten wurde. Im Frühjahr hat der Lehensherr hier das Lehen an die Weinbauern vergeben. Als Zeichen gab es einen frischen Haselnusszweig in die Hand gedrückt. Daher kommt auch der Spruch »Auf einen grünen Zweig kommen.

Pfarrkirche von Zellerndorf
Pfarrkirche von Zellerndorf

Im zügigen Tempo rollen wir die Kellergasse hinunter und radeln durch das Ortszentrum von Zellerndorf bis zur Kirche, die etwas abseits des Dorfkerns liegt. Neben der Kirche erhebt sich ein achteckiger, frühgotischer Karner, dessen Untergeschoss als mittelalterliches Beinhaus dient. Ein Blick durch das Fenster offenbart eine unheimliche Szenerie: Tausende Totenschädel und Gebeine sind hier aufgestapelt.

Pfarrkirche von Zellerndorf
Karner von Zellerndorf

Einer Legende zufolge soll Gott höchstpersönlich den Bauplatz der Kirche bestimmt haben. Ursprünglich planten die Zellerndorfer, ihre Kirche mitten im Ort zu erbauen. Die Grundmauern waren schon errichtet, als eines Morgens die Zellerndorfer ein Ebenbild ihrer Kirche außerhalb des Ortes entdeckten. Die Bewohner sahen darin einen Fingerzeig Gottes und vollendeten den Bau an dieser Stelle.

Von Zellerndorf zurück zum Ausgangspunkt

Kellergasse Peigarten
Weinviertler Kellergassen Radrunde – Kellergasse Peigarten

Die letzten acht Kilometer der Weinviertler Kellergassen Radrunde verlaufen für Weinviertler Verhältnisse fast flach. Felder und Weingärten ziehen an uns vorbei, während wir dem Ausgangspunkt in Jetztelsdorf näherkommen. Doch bevor wir Jetzelsdorf erreichen, durchqueren wir noch die letzte Kellergasse dieser Tour – die Kellergasse von Peigarten. Ihre schattigen Kastanienbäume spenden nicht nur Schutz vor der Sonne, sondern verleihen der Szenerie auch eine melancholische Ruhe.

Kellergasse Peigarten
Weinviertler Kellergassen Radrunde – Kellergasse Peigarten

Mit etwas Phantasie taucht vor unserem inneren Auge nochmals Simon Polt auf. Wir sehen ihn unter den Kastanienbäumen sitzen, wie er mit den alten Weinbauern über den Sinn des Lebens und das »Pfefferl« im Veltliner philosophiert. Die Zeit scheint dabei stillzustehen. Eine herrliche Entschleunigung und angenehme Ruhe legt sich über die Szenerie. Mit einem leisen Hauch von Wehmut setzen wir ohne Eile unsere Fahrt fort und erreichen schließlich unseren Ausgangspunkt.

FOTOALBUM
Noch mehr Fotos von der Weinviertler Kellergassen Radrunde findet ihr im Fotoalbum unter: DIE WEINVIERTLER KELLERGASSEN RADTOUR IM PULKAUTAL UND IM RETZER LAND

Fazit

Die Weinviertler Kellergassen Radrunde durch das reizvolle Retzer Land und das bezaubernde Pulkautal ist zweifellos ein lohnender Ausflug. Pittoreske Kellergassen und versteckte Kleinode entschädigen für so manchen Anstieg. Eine perfekte Kombination aus sportlicher Betätigung und kulturellen Entdeckungen im Weinviertel!

Der Streckenplan zur Weinviertler Kellergassen Radrunde

Tourdaten zur Weinviertler Kellergassen Radrunde

Radweg-Symbol: Grüne Tafel mit symbolisierter Kellergasse

Schwierigkeit: mittel

Strecke: ca 50 km

Highlights der Strecke:

  • Unzählige Kellergassen
  • Südmähren Warte am Schatzberg
  • Heiliger Stein bei Retz
  • Retz
  • Kalvarienberg von Pillersdorf
  • Kirche und Karner von Zellerndorf