STADTSPAZIERGANG WIEN – VOM GRABEN BIS ZUM SPITTELBERG

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Dieser Wien Spaziergang führt Euch in das barocke Wien, als in den Straßen Wiens Lust und Laster herrschte. Trefft mit uns am Weg zum Spittelberg Maria Theresia, Joseph II oder den unwiderstehlichen Frauenhelden Giacomo Casanova.

Die Pestsäule am Graben

Die Wiener Pestsäule

Wir beginnen unseren heutigen Wiener Stadtspaziergang bei der Pestsäule am Graben. Zur Zeit von Kaiserin Maria Theresia zählte dieser zu den bekanntesten Flaniermeilen der Stadt. Im Sommer wurden hier Limonadenstandln und Sitzmöglicheiten aufgebaut. Dort saßen die feinen Herrschaften, tranken Limonade oder Mandelmilch und schauten dem bunten Treiben zu. Hier hielten sich auch die berühmten Graben-Nymphen auf, die mit einem weißen Schnupftuch der wohlbetuchten Kundschaft unauffällige Signale zur Geschäftsanbahnung  gaben. 

Graben

»Graben-Nymphe« war die scherzhafte Bezeichnung für die am Graben promenierenden »leichten Mädchen«, die trotz Verbote und Keuschheitskommission ihren Geschäften nachgingen. »Ich bin entzückt vom Wiener Leben und von den Genüssen, die ich bei den schönen Fräuleins fand«, hielt Giacomo Casanova in seinem Tagebuch fest. Sein unstetes Leben führte den berühmtesten Schürzenjäger, Schriftsteller und Glücksspieler im Jänner bis Februar 1754 nach Wien.

Die Wiener Pestsäule

Werfen wir jetzt einen Blick auf die wunderschöne barocke Pestsäule, die Kaiser Leopold I am Ende der schweren Pestepidemie im Jahre 1679 stiftete. Inmitten dutzender Engel könnt ihr den Kaiser selbst entdecken. Leicht zu erkennen an der ausgeprägten »Habsburger Lippe«, die ihm den Spitznamen »Fotzenpoidl« einbrachte.

Die Wiener Pestsäule

Eine Schnurre berichtet, dass der Bildhauer aus Rache die Unterlippe so markant aus dem Stein meißelte, weil Leopold ihm den vereinbarten Lohn nicht bezahlen wollte. Wenig schmeichelnd äußerte sich auch der osmanische Reisende Evliya Çelebi bei seinem Wien-Aufenthalt über den Kaiser, »Seine Lippen sind wulstig wie die eines Kamels. Immer wenn er spricht, spritzt und trieft ihm Speichel aus dem Mund«.

Die Peterskirche

Peterskirche

Nur ein paar Schritte von der Pestsäule entfernt steht die Peterskirche, eine der ältesten Kirchen Wiens. Mehrfach umgebaut erhielt sie ihr heutiges Aussehen um 1730. Dem schwedischen Dichter Per Daniel Amadeus Atterbom fiel bei seinem Wien-Besuch auf, dass »die Wiener Schönheiten ein ausschweifendes Leben führen und stark zur Wollust neigen«. Die Freizügigkeit der Damenwelt war natürlich der Priesterschaft ein Dorn im Auge.

Peterskirche

So zählten schulterfreie Kleider beim Besuch der Messe zum absoluten »No-Go«. In seinem Reisetagebuch berichtet Johann Georg Keyßler von einem Pfarrer, der drohte »den Weibspersonen von der Kanzel herab in den Busen zu speien, wenn er eine noch mit entblößtem Halse zu Gesicht bekommen würde«. Trotz der derben Worte solltet ihr Euch von einer kurzen Kirchenbesichtigung nicht abbringen lassen.

Zwischen Graben und Michaelerplatz

Die Hofburg

Weiter geht es nun über den Kohlmarkt zum Michaelerplatz. Dabei bleibt uns Zeit um über Zucht und Ordnung in der Regierungszeit von Maria Theresia zu plaudern. Um dem lasterhaften Treiben in den Straßen Wiens Einhalt zu gebieten, rief die strenge Katholikin eine Keuschheitskommission ins Leben. Deren Spitzel verfolgten nicht nur Dirnen und Freier, sondern schauten bei Verdacht auch unter die Bettdecke unkeuscher Adeliger.

Die Hofburg

Dirnen, die den Sittenwächtern in die Arme fielen, wurden als Strafe die Haare geschoren, der Kopf geteert und vor der nächsten Kirche ausgepeitscht. Besonders »incorrigible Weibspersonen« setzte man mit Kriminellen auf ein Floß und deportierte sie ins Banat. In die Geschichte gingen diese »Schiffsreisen« als »Temeswarer Wasserschübe« ein.

Großes Michaelerhaus

Michaelerkirche

Mittlerweile haben wir den Michaelerplatz erreicht. Richtet zuerst eure Blicke auf die Fassade des »Großen Michaelerhauses«. Hier wohnte um 1750 der junge Joseph Haydn in einer zugigen Dachkammer ohne Ofen, aber dafür mit Löchern im Dach. Seinen Unterhalt verdiente er sich mit Klavier- und Gesangsunterricht. Im selben Haus wohnte auch Pietro Metastasio, den Kaiser Karl VI 1729 als Hofdichter von Rom nach Wien berief. Seine Dramen wurden für das kaiserliche Hoftheater vertont und aufgeführt. So komponierte Mozart die Musik zum Libretto »Der Traum des Scipio«.

Großes Michaelerhaus

»Dem Dichter kosten gerade die Verse am meisten Mühe, von denen der Durchschnittsleser glaubt, er habe sie nur so aus dem Ärmel geschüttelt«, beklagt sich Metastasio bei Casanova, der ihm gleich bei seiner Ankunft in Wien besuchte. Da Metastasio niederer Herkunft blieb im der Zugang in die aristokratischen Kreise verwehrt. Nur die verwitterte Baronin Althann erbarmte sich seiner und kuschelte mit ihm unter der Bettdecke. Darin hatte sie reichlich Erfahrung, war doch die Baronin die Mätresse von Kaiser Karl VI gewesen.

Michaelerkirche

Michaelerplatz

Die mehrfach umgebaute Michaelerkirche zählt ebenfalls zu den ältesten Gotteshäusern Wiens. Sie war einst ein beliebter Ort um mit Grabennymphen in Kontakt zu treten. Unauffällig spazierten sie als Kirchgängerinnen mit Rosenkranz und Gebetsbuch getarnt rund um das Kirchenportal herum.

Michaelerkirche

Oder Sie täuschten scheinbar tief im Gebet versunkene Büßerinnen vor. In Wahrheit warteten sie nur auf das Hüsteln oder ein unauffälliges Handzeichen eines Freiers. Kam man ins Geschäft folgte die Hübschlerin ihrem Kunden in die nächste Seitengasse oder zerrte ihn gleich in den nächsten Beichtstuhl.

Michaelerkirche

Berühmt sind die unterirdischen Gewölben der Michalerkirche, wo rund 5.000 Adelige und reiche Bürger ihre letzte Ruhestätte fanden. Aufgrund der besonderen klimatischen Verhältnisse verwesten die sterblichen Überreste nicht, sondern blieben als Mumien der Nachwelt erhalten. Darunter auch Hofdichter Metastasio. Bis 1783 wurden in der Gruft Bestattungen durchgeführt, dann verbot Kaiser Josef II weitere Beisetzungen innerhalb der Stadtmauern aus hygienischen Gründen.

Am Weg zum Josefsplatz

Michaelerplatz

Unser nächstes Ziel ist das Denkmal von Joseph II am Josefsplatz. Die Amtszeit des Sohnes von Maria Theresias war durchwachsen. Wegen seiner zahlreichen Reformen wurde er sowohl gefeiert als auch gehasst. »Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk« lautete sein Motto. Er schaffte die Folter und Leibeigenschaft ab, führte die Grundsteuer ein und ließ alle unproduktiven Klöster schließen. Mit dem Toleranzpatent verfügte er, dass Protestanten und Juden ihren Glauben frei ausüben konnten. Auf heftigen Protest stieß das Verbot pompöser Begräbnisse und der Einsatz eines wiederverwendbaren Klappsarges.

Die Hofburg

Was für »gottlose Vorgehen« in den Augen seiner Untertanen, welchen »a schene Leich« stets wichtig war. Josephs Reformwille scheiterte schon bald am Widerstand der Bevölkerung, sodass er kurz vor seinem Tod viele seiner Reformen wieder zurücknehmen musste. Selbstkritisch stellte er fest, dass »er der Kaiser sei, der in allem versagte, was er unternahm«.

Denkmal Joseph II – Tu felix Austria nube

Hofburg - Denkmal von Joseph II

Bewundern wir das Denkmal, dass Joseph II als römischen Imperator hoch zu Ross zeigt. Sieht so ein »Looser« aus? Immerhin, nicht jede Reform scheiterte. Wirklich Pech hatte Joseph II aber mit seinen Ehefrauen. Die erste war lesbisch, die zweite, »schiach wia a Zinshaus«. Bei der Auswahl seiner Ehefrauen hatte Joseph jedoch nichts mitzureden. Er musste nehmen, was ihm seine Mutter Maria Theresia zum Wohle der Monarchie vorsetzte. Ehefrau 1 stammte aus dem Hause Bourbon-Parma und hieß Isabella. Sie war hübsch und intelligent. Was für ein Glücksgriff, dachte Joseph! Doch bald kam die Ernüchterung.

Hofburg

Denn Isabella hatte nur Augen für Josephs Schwester Marie Christine, der sie glühende Liebesbriefe schrieb. Doch die geheime sapphische Liebe fand ein rasches Ende. Isabella verstarb nach nur dreijähriger Ehe an den Pocken. Ehefrau Nummer 2 kam aus Bayern und hieß Maria Josepha. Joseph beschrieb sie als »kleine dicke Gestalt mit hässlichen Zähnen« und fand sie so abstoßend, dass er sich weigerte mit ihr ins Bett zu gehen.

Hofburg

Der Herrgott hatte Erbarmen. Zwei Jahre nach der Hochzeit war auch die unbefleckte Maria Geschichte. Die Pocken hatten sie dahingerafft. Als Maria Theresia Ehefrau 3 auswählen wollte, streikte Joseph. Von nun an blieb er Single und vergnügte sich mit den Damen vom Spittelberg. Doch dazu später.

Augustinerkirche

Augustinerkirche

Links vom Reiterdenkmal befindet sich der unscheinbare Eingang in die Augustinerkirche. Die Kirche war stets Schauplatz für feierliche Anlässe des Kaiserhauses. Hier gaben sich Kaiserin Maria Theresia und Franz von Lothringen das Ja-Wort, wie auch Joseph II und Isabella von Bourbon-Parma. In der Augustinerkirche trieb der wortgewaltige Prediger Abraham a Sancta Clara sein Unwesen. Von der Kanzel wetterte er mit Vorliebe gegen Frauen mit weit ausgeschnittenen Kleidern. Ob Adelige oder Dirne, er titulierte sie alle als »verhurte Sauzimmer« und forderte, dass Vögel »diesen Weibern auf die nackten Brüste scheißen sollen«. Heute würde man Abraham a Sancta Clara vermutlich als Hassprediger bezeichnen.

Augustinerkirche

Bei einem Kirchenbesuch werft unbedingt einen Blick auf das von Antonio Canova gestaltete Grabdenkmal für Erzherzogin Marie Christine, der Schwester von Joseph II und Lieblingstochter von Maria Theresia. Als Marie Christine  an einer Magenkrankheit im Alter von nur 56 Jahren starb ließ ihr Mann Prinz Albert von Sachsen-Teschen diese Erinnerungsstätte für »die beste Gattin« errichten. 

Augustinerkirche

In der Augustinerkirche befindet sich auch das Herzgrüfterl der Habsburger. Während die sterblichen Überreste der Monarchen in der Kapuzinergruft ihre letzte Ruhestätte fanden, wurden die Eingeweide unter dem Chor des Stephansdoms beigesetzt und die Herzen von 54 Habsburgern in der Augustinerkirche.

Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek

Prunksaal der Nationalbibliothek

Tauchen wir nun in die Welt der Lesewürmer ein und statten dem Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek einen kurzen Besuch ab. Dieser gilt als der schönste barocke Bibliothekssaal der Welt. Der prachtvolle Lesetempel wurde um 1725 nach den Plänen von Vater und Sohn Fischer von Erlach errichtet. Die beeindruckenden Deckenfresken stammen von Daniel Gran. Der Prunksaal beherbergt etwa 200.000 Bücher aus einem Zeitraum von 1501 bis 1850.

Prunksaal der Nationalbibliothek

Vom Prunksaal der ehemaligen Hofbibliothek war auch Casanova begeistert. Zu seiner Überraschung traf er in den Räumlichkeiten Valentin de la Haye, den er auf seinen Reisen schon mehrfach begegnet war. Der chronisch geldlose Casanova nutzte die Gunst der Stunde und lieh sich von de la Haye gleich einmal fünfzig Dukaten. Ob er den Geldbetrag für »Luderdirnen« oder für die Begleichung von Spielschulden benötigte, darüber schweigt er in seinen Memoiren geflissentlich.

Am Weg zum Maria Theresia Denkmal

Hofburg

Setzen wir unseren Weg fort. Wir schlendern durch die Hofburg Richtung Heldenplatz und Ringstraße. Nach dem Tode seiner Mutter schlug Kaiser Joseph II einen anderen Weg zur Bekämpfung des lasterhaften Verhaltens ein. Verhaftete Hübschlerinnen wurden ins Zuchthaus gebracht, ihrer Haarpracht beraubt und als »Lohn ihrer Ausschweifungen« zum Straßenkehren verdonnert. Die Nymphen-Besenbrigade sorgte jedoch für viel Aufregung in den Gassen Wiens. Mit Vorliebe pöbelten die Dirnen hochnäsige Damen oder bekannte geizige Freier an.

Hofburg

Auch Kaiser Joseph war Opfer ihrer Schabernacke. Als dieser an ihnen vorbeiritt, nahmen die Hübschlerinnen stramme Haltung an und salutierten mit dem Besen vor dem Monarchen. Von da an mussten die Dirnen die Schmutzwäsche der Krankenhäuser waschen. Die einzigen, die der Anblick der »glatzerten Dirnen« erfreute, waren die Perückenmacher. Sie warteten jeden Tag vor dem Eingangstor des Zuchthauses um den kahlgeschorenen »Sünderinnen« ihre Perücken feilzubieten.

Denkmal Maria Theresia – Zucht und Ordnung

Maria Theresia Denkmal

Das Maria Theresia Denkmal ist kaum zu übersehen. Gütig lächelnd blickt die wohl fruchtbarste Habsburgerin aller Zeiten auf uns herab. 16 Kindern schenkte die » Übermutter der Nation« das Leben. Umgeben ist die Kaiserin von ihren wichtigsten Beratern, Feldherrn und Vertretern aus Wissenschaft und Kunst. Am Relief auf der Seite des Naturhistorischen Museums könnt ihr rechts den jungen Mozart und Joseph Hadyn erkennen. Die Regentschaft von Maria Theresia war geprägt von zahlreichen Reformen, darunter die Neuordnung des Steuerwesens, die Vereinheitlichung des Strafrechts oder die Einführung der Schulpflicht.

Naturhistorisches Museum

Und nicht zu vergessen: Die Gründung der Keuschheitskommission. Gerüchteweise reagierte Maria Theresia wegen der Untreue ihres Mannes Franz Stephan so rigoros auf lasterhafte Ausschweifungen. Obwohl ihre Ehe als glücklich galt, konnte ihr Gatte den Reizen der holden Weiblichkeit nicht wiederstehen. Gerüchteweise hatte er Affären mit einer Hofdame und der Fürstin Auersperg.

Maria Theresia Denkmal

Giacomo Casanova empörte sich fürchterlich bei seinem Wien-Besuch über die erbärmlichen Spitzel der Keuschheitskommission und bezeichnete sie als »unerbittliche Quälgeister aller hübschen Mädchen«. Trotz der Sittenwächter gab sich Casanova den Reizen der holden Weiblichkeit hin und seine amourösen Eskapaden machten in der Stadt schnell die Runde. Fieberhaft suchte die Keuschheitskommission einen Grund den Frauenhelden der Stadt zu verweisen. Tatsächlich fanden sie einen. Als Casanova beim »Wildpinkeln« nicht nur von einer Frau, sondern auch von einem Spitzel beobachtet wurde, musste er wegen ungebührlichen Verhaltens die Stadt verlassen.

Museumsquartier – Die ehemaligen Hofstallungen

MQ - Ehemalige Hofstallungen

Wir gehen weiter stadtauswärts, queren die »Zweier-Linie« und stehen vor dem Haupteingang des Museums-Quartier. Drehen wir das Rad der Zeit zurück bis ins Jahr 1713. Kaiser Karl VI, der Vater von Maria Theresia, beauftragte den berühmten Architekten Fischer von Erlach mit Errichtung der kaiserlichen Hofstallungen.

MQ - Ehemalige Hofstallungen

Diese boten nach der Fertigstellung Platz für 600 Pferde und 200 kaiserliche Kutschen. Die sich vor uns erhebende 400 Meter lange Fassade des Museums-Quartier wurde 1725 fertiggestellt und zählt zu den längsten Barockfassaden in Wien. »Die Pferde sind schöner logiert als der Kaiser selbst« schwärmte einst der Schriftsteller Joseph Richter über den Prachtbau. Heute befindet sich in den ehemaligen Hofstallungen das Museums-Quartier.

MQ Museumsquartier

Besonders zu empfehlen ist ein Besuch des Leopold Museums mit seiner bedeutenden Jugendstil-Sammlung. Auf keinen Fall solltet Ihr den Ausblick von der im Jahr 2020 errichteten »MQ Libelle« am Dach des Leopold Museums versäumen.

Der Spittelberg – Von Bierhäuselmenscher und Spittelbergnimpfen

Am Spittelberg

Der Spittelberg oder vormals Spitalberg galt einst als das verruchteste Viertel außerhalb der Stadtmauer Wiens. Berüchtigt für seine Spelunken, Bordelle und Spielhöllen. »Der Spitalberg verdient nur darum seinen Namen, weil er seine Bewohner und Besucher gewöhnlich in das Spital zu bringen pflegt«, meinte etwa der Schriftsteller Joachim Perinet im Jahr 1788.

Am Spittelberg

Durch seine erhöhte Lage und die Nähe zur Wiener Stadtmauer war der Spittelberg von wichtiger strategischer Bedeutung. Ob Türken oder Franzosen, sie alle schlugen hier ihre Zelte auf und schossen aus allen Rohren auf die Wiener Stadt hinab. Nach der Zerstörungen des Viertels durch die Türkenbelagerung von 1683 begann schon kurz darauf der Wiederaufbau. Auf engstem Raum entstanden rund 140 barocke Häuser, wo die Bewohner dicht gedrängt wohnten. Die Häuser hatten oft keinen Innenhof oder Garten, weshalb der Spittelberg schon bald zu den ungesündesten Wiener Vorstädten zählte.

Am Spittelberg

Der Spittelberg war beliebt bei Fuhrwerkern, die Waren nach Wien transportierten. Hier konnten sie weit billiger Essen, Trinken und Übernachten als innerhalb der Stadtmauern. In Folge wurden immer mehr Wirtshäuser eröffnet, sodass im Jahr 1785 schon bald jedes zweite Haus eine Gaststätte beherbergte. Sie trugen so klingende Namen, wie »Zum nackten Kapauner«, »Bei der angestrichenen Julerl« oder  »Zur wilden Sau«.

Spittelberg

»Die verruchtesten Wirtshäuser befanden sich am Spittelberg. Da war alles dazu eingerichtet, um die Gäste zu prellen, sie durch Tanz, Trank und frivole Liebkosungen der Mädchen in jene Stimmung zu versetzen um sie nach allen Regeln der Kunst auszunehmen«, beschreibt der Zeitzeuge und Dichter Ignaz Franz Castelli seinen Ausflug auf den Spittelberg. Die »appetitlichen Bierhäuselmenscher« mussten tanzen und die Gäste zum Trinken animierten, damit die Zeche größer wurde. Musiker sorgten für Stimmung und trugen frivole G´stanzeln vor, die als »Spittelberg-Lieder« in die Musikgeschichte eingingen.

Am Spittelberg

Lüstern ging es in den engen Gassen zu, wo die »Spittelbergnimpfen« ihren Geschäften nachgingen. Die leichten Mädchen hatten sogar eine eigene Tracht. »Sie trugen rosenfarbige oder hellblaue Schuhe, schneeweiße feinen Strümpfe und ein weißes Röckchen, welches so kurz war, dass man die bunten Strumpfbänder noch sehen konnte. Ihr Oberkörper steckte in einem engen schwarzen Korsett mit einem Busentüchelchen, welches seinen Inhalt jedoch nur halb verdeckte. Ihren Kopf bedeckten die Hübschlerinnen mit einer Goldhaube«.

Am Spittelberg

Die Kundschaft der »Spittelbergnimpfen« kam aus jeder Gesellschaftsschicht. Casanova besuchte den »Venushügel« ebenso, wie Kaiser Joseph II. Ob der Monarch inkognito die liederlichen Frauenzimmer kontrollieren wollte oder um die Dienste der bekannten »Sonnenfels-Waberl« in Anspruch zu nehmen, darüber schweigt die Chronik. Bekannt ist jedoch – warum auch immer – der Kaiser im Jahr 1778 sehr unsanft vor die Tür der Spelunke »Zum weißen Löwen« in der Spittelberggasse 13 gesetzt wurde . Daran erinnert noch heute eine Inschrift im Lokal »Durch dieses Tor im Bogen kam Kaiser Joseph II. geflogen«.

Am Spittelberg

Zurück in die Gegenwart: Nach einer ausgiebigen Besichtigung des ehemaligen »Venusbergs« und einer Stärkung in einem der zahlreichen Lokale spazieren wir nur ein kurzes Stück die Burggasse stadtauswärts.

Ulrichrichskirche – Vom Lieben Augustin und Kara Mustapha

Ulrichskirche

Vom Spittelberg ist es nur ein Katzensprung zum stimmungsvollen St-Ulrichs-Platz. Dominiert wird der Platz von der Ulrichskirche, die bereits um 1211 gegründet wurde. Dann folgten mehrere Umbauten und die Zerstörung in den Türkenkriegen. Unternehmen wir eine Zeitreise ins Jahr 1683. Die Türken belagern Wien. Die Ulrichskirche nutzen die Osmanen als Munitionsdepot. Ihr Oberbefehlshaber Großwesir Kara Mustapha ist den Kirchturm hinaufgeklettert und beobachtet den Beschuss der Wiener Stadtbefestigung mit schweren Kanonen.

Ulrichskirche

Erfolglos wie wir wissen. Als das Entsatzheer unter der Führung des polnischen Königs Johann Sobieski zur Befreiung Wiens anrückt, fliehen die Türken Hals über Kopf. Zurück blieb reiche Beute und ein zerstörtes Wiener Umland. Und Kara Mustapha? Sultan Mehmeds IV war über die Niederlage seines Großwesirs »not amused« und ließ ihn mit einer Seidenschnur erdrosseln.

St Ulrichs- Viertel

Drehen wir das Rad der Zeit um weitere vier weitere Jahre zurück. Wir schreiben das Jahr 1679. In Wien wütet die »Große Pest« und tausende Wiener werden vom »Schwarzen Tod« dahingerafft. Einsam torkelt der schwer betrunkene Bänkelsänger Augustin vom Kohlmarkt zum Burgtor. »O du lieber Augustin, alles ist hin« grölt er vor sich hin. Als er stolpert, bleibt er liegen und schläft seinen Rausch am Wegesrand aus. Als Pestknechte vorbeikommen, halten sie Augustin für tot, werfen ihn auf einen Karren und bringen ihn zur Pestgrube nahe der Ulrichskirche.

Der liebe Augustin

Am folgenden Morgen findet sich Augustin in einem offenen Massengrab wieder. Panisch macht er so lange einen Radau bis ihn Retter aus der Grube ziehen. Obwohl er eine Nacht unter den Pestleichen verbrachte, blieb von der Pest verschont. Von da an war sein Motto »Lustig g´lebt und selig gestorben, ist dem Teufel die Rechnung verdorben!«

St Ulrichs- Viertel

Zurück in die Gegenwart: Versäumt auf keinen Fall einen Blick auf das hübsche Barockhaus (St.-Ulrichs-Platz 2) zu werfen, welches zu den schönsten Vorstadthäusern seiner Zeit zählte. So, jetzt sind wir am Ende der Tour durch das barocke Wien angekommen. Sucht Euch ein nettes Lokal in der Nähe und erholt Euch von den Anstrengungen der Besichtigungstour. Wir hoffen, Sie ist auf Euer geschätztes Interesse gestoßen. Bis zum nächsten Mal! 

Die Strecke
Am Graben > Kohlmarkt > Michaelerplatz > Reitschulgasse > Josefsplatz > Michaelerplatz > In der Burg > Heldenplatz > Maria Theresien Platz > Museumsplatz > Siebensterngasse > Spittelberg > Burggasse > St Ulrichs Platz > Augustinplatz

Distanz: rund 3,5 km, ca 4.500 Schritte

Literaturhinweise und -tipps

  • Joachim Perinet, Annehmlichkeiten in Wien 1787/1788
  • Giacomo Casanova, Erinnerungen – Geschichte meines Lebens
  • Per Daniel Amadeus Atterbom, Menschen und Städte Begegnungen und Beobachtungen eines schwedischen Dichters in Deutschland, Italien und Österreich 1817-1819
  • Joseph Richter, Briefe eines Eipeldauers an seinen Herrn Vetter in Kakran, über d’Wienstadt
  • Ignaz Franz Castelli, Memoiren meines Lebens: Gefundenes und Empfundenes, Erlebtes und Erstrebtes
  • Johann Georg Keyßlers, Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen
  • Barbara Wolflingseder, Lust & Laster im Alten Wien
  • Anna Ehrlich, Auf den Spuren der Josefine Mutzebacher